Diagnose & Behandlung
Kniegelenk
Anatomie und Physiologie
Das Kniegelenk gilt als kompliziertestes Gelenk des menschlichen Körpers. Stark simplifiziert wird es als Scharniergelenk bezeichnet; tatsächlich besteht es aus 3 Gelenken: 2 Gelenke zwischen den Femurkondylen und dem jeweiligen Tibiakondyl sowie dem Femoropatellargelenk. Die Femurkondylen sind von vorne nach hinten zunehmend gekrümmt. Die Schienbeingelenkfläche ist 9° nach hinten geneigt (Retroversio), die Gelenkfläche ist etwas nach hinten verlagert (Retropositio). Die äusseren Gelenksfacetten der Kniescheibe sind grösser als die inneren. Der Gelenkknorpel der Kniescheibe ist der dickste des menschlichen Körpers (5-6mm). Die in die Sehne des M.quadriceps eingelassene Kniescheibe wirkt als gleitendes Hypomochlion und ist ein integrierender Bestandteil des Streckapparates.
Die Muskeleinheiten bestehen aus dem M.quadriceps und den Kniebeugern (Mm.sartorius, gracilis, semitendinosus und semimembranosus medial und daher als Innenrotatoren wirksam, Mm. biceps femoris, popliteus lateral und als Aussenrotatoren wirksam, sowie die Mm. gastrocnemii auch das Sprunggelenk überspannend; unter den Quadricepsanteilen überspannt lediglich der M.rectus femoris Hüft-und Kniegelenk;
Der Bandapparat besteht aus dem inneren oder medialen Komplex ( mediales Seitenband, medialer Meniscus, vorderes und hinteres Kreuzband, mediales Retinakulum, hintere Anteile der medialen Kapsel), dem äusseren oder lateralen Komplex (laterales Retinakulum, unterer Teil des Tractus iliotibialis, fibulares seitenband, äusserer Teil der hinteren Kapsel, vorderes und hinteres Kreuzband, lateraler Meniscus, Lig. popliteum arcuatum), den vorderen Strukturen (Quadricepssehne, Lig.patellae, Hoffa`scher Fettkörper, mediales und laterales Retinaculum sowie den hinteren Strukturen (hintere Kapsel, Lig.popliteum arcuatum, Lig. popliteum obliquum).
Die Kreuzbänder sind der zentrale Angelpunkt des Kniegelenks. Das vordere KB bremst das Vorgleiten der Tibia gegenüber dem Femur, das hinter KB begrenzt das Rückgleiten der Tibia), beide Kreuzbänder koordinieren die Gleit- Rollbewegung des Kniegelenks und verhindern die Überstreckung. Das hintere Kreuzband beträgt in seiner Länge nur 3/5 des vorderen Kreuzbandes. Aus biomechanischer Sicht erfolgt die Bewegung des Kniegelenks nach den Gesetzen des überschlagenen Gelenkvierecks. Der Schnittpunkt der
Kreuzbänder, der sich in jeder Gelenksstellung mit dem der Seitenbänder deckt, ist jeweils die Drehachse des Kniegelenks. Bei Beugung und Streckung des Kniegelenks bewegt sich das Tibiaplateau als Tangente um die Femurkondylen; dadurch entsteht eine kombinierte Roll-Gleitbewegung (aus der Streckung heraus zunächst Rollen, dann ein Gleiten und Rollen). Ein wichtiger Faktor der Stabilität des Kniegelenks im Stehen ist die Schlussrotation;
Die Menisci sind keilförmige, elastische und verformbare Faserknorpelkörper. Der Innenmeniscus ist um die Hälfte weniger beweglich als der Aussenmeniskus und daher deutlich verletzungsanfälliger. Fixpunkte der Bewegung sind die Ansätze im Bereich der Vorder-und Hinterhörner. Die Menisken erhöhen die Stabilität durch Vergrösserung des Gelenkkontaktes und erzeugen einen Stossdämpfereffekt. Hauptaufgabe ist die Gewichtsverteilung bei belastetem Kniegelenk, weitere Aufgaben sind die Verbesserung der Gelenksschmierung und Ernährung des Gelenkknorpels und die passive Einschränkung einer übermässigen Beweglichkeit.
Pathologie
- congenitale Veränderungen: Patellaluxation, Kniegelenksluxation...
- traumatische Prozesse: Meniscusläsionen, Kreuzbandläsionen...
- entzündliche Prozesse: eitrig-bakterielle Infektionen tuberkulöse Entzündungen rheumatische Entzündungen-rheumatoide Arthritis, M.Bechterew Entzündungen durch Stoffwechselprozesse-Gicht Pseudogicht
- tumoröse Prozesse: Cysten -juvenil, aneurysmatisch tumorsimulierende Prozesse-Osteoidosteom, Osteoblastom benigne Tumoren (Chondrom, Chondromyxoidfibrom) potentiell maligne Tumoren-Riesenzell-Tu, Adamantinom primär maligne Tumoren-Osteo-Sarkom, Chondro-Sarkom Metastasen degenerative Prozesse -Arthrose, Kondylennekrose, Meniskusdegeneration...
Untersuchung des Kniegelenks
Anamnese
- sportliche Aktivitäten?
- Verletzung ? blutiger Erguss abpunktiert?
- bisherige Behandlungen?
- bisherige Operationen ?
- Schmerzart,-dauer, -Tageszeit, -intensität?,-lokalisation?, -Abhängigkeit von Bewegungen? Besserung auf Therapie? häufige Ergussbildung? Blockierungen? Probleme mit anderen Gelenken, insbesondere Hüftgelenk?
klinische Untersuchung
- Gehen : Gangbild, Hinken, Verkürzung...
Stehen: Achsstellung (im Vergleich zur Gegenseite)
Liegen :
Inspektion : Rötung, Schwellung, Deformation
Palpation : Erguss („Tanzen der Patella“), Synovitis, Bakercyste Osteophyten
Bewegungsuntersuchung (Beugung 0-0-150°) - Patella
Mobilität der Kniescheibe
Schmerzen bei Bewegungen, und Anptressen der Kniescheibe
Krepitation, Reibegeräusche
Zohlen-Zeichen (Heben des Beins bei nach unten gedrückter Patella)
Bewegungslauf der Kniescheibe
Q-Winkel (Winkel Oberschenkelachse-Verbinding
Patellamitte- Tuberositas
Palpation der Facetten
- Stabilitätsuntersuchung
seitliche Aufklappbarkeit in Streckung und 25° Beugung
vordere Schublade
hintere Schublade
Lachmann-Test (in 30° Beugung Gegeneinanderverschieben von
OS und US)
Pivot-Shift (Subluxationsphänomen in IR und Valgusstress bei ca 30°)
- Meniscustests
Flexions-oder Extensionsschmerz über innerem oder äusseren
Gelenksspalt
Druckschmerz über Gelenksspalt
Wanderung des Schmerzpunkts bei Beugung nach hinten
Aussenrotationsschmerz bei medialer, IR-Schmerz bei lateraler Läsion
Varisierungsschmerz bei medialer, Valgisierungsschmerz bei lateraler
Läsion
McMurray-Test (medialer Schmerz bei Flexion und Varisierung)
Apley-Test (medialer Schmerz in Bauchlage bei Kompression und Ar in
Beugung)
- Hüftuntersuchung! (Beweglichkeit, Bewegungsschmerz, Druckschmerz Leiste...)
Laboruntersuchungen
- Blutbild, Blutsenkung, CRP, Harnsäure
- Rheumafaktor, HLA-B27
- Untersuchung des Gelenkpunktats (Keimbefund, Harnsäurekristalle, Rheumafaktor...
Bildgebende Untersuchungen
- Röntgen
- Kniegelenk ap im Stehen, seitlich liegend, Patella tangential
- Ganzbeinaufnahme im Stehen ap (wenn möglich Einbeinstand)
- Achsverhältnisse Tunnelaufnahme (freie Körper?)
- Patella defilee 30°-60°-90° (Patellalauf)
- Rosenbergaufnahme (beurteilt hintere Gelenksanteile)
- Gehaltene Aufnahmen (Schublade, laterale oder mediale
Aufklappbarkeit? - Ultraschall
- Bakercyste?, Tumoren, (Menisci)
- Magnetresonanz
- Menisci, Kreuzbänder, Knorpel, Erguss, Synovialis, Marködem, Tumoren... - Computertomogramm
- knöcherne Veränderungen, Rotationsverhältnisse Skelettszintigraphie
- entzündliche Prozesse, Endoprothesenlockerung ?
Beurteilung im Röntgen
- Achsstellung
- Fraktur
- Gelenksspaltverschmälerung (Arthrose, Entzündung)
- Subluxation (Instabilität)
- Patellafehlposition
- Osteolyse (Tumor, Entzündung) S
- klerose (Arthrose, Tumor)
Histologische Untersuchung
Gewebsuntersuchung nach Punktion ( tuberkulöse Entzündung)oder Biopsie (Tumoren)
Arthroskopie
Als diagnostische Massnahme nur in Ausnahmefällen!
entzündliche Erkrankungen
- Bursitis präpatellaris
- Arthritis urica
- unspezifisch-bakterielle Arthritis
- tuberkulöse Arthritis
- chronische Polyarthritis
- M.Bechterew
- Gonokokkenarthritis s
- eltene Entzündungen (Borreliose, M.Bang..)
Vorgehen bei entzündlichen Erkrankungen
- Diagnosestellung durch Labor, Röntgen, MRI und Punktion
- Eitrige Entzündungen: chirurgische Behandlung + Antibiotikatherapie
- nach Antibiogramm Arthritis urica: hochdosierte schmerzstillende Therapie, Allopurinol, Diät
- Tuberkulöse Arthritis: chirurgische Therapie + Tuberkulostatika
- Chronische Polyarthritis: Basistherapie, Antiphlogistika, Cortisoninfiltrationen, orthopädische Behelfe, chirurgische Behandlung (Synovektomie, Endoprothese)
degenerative Kniegelenserkrankungen
- Osteochondritis dissecans
- degenerative Meniskusläsion, Meniskusganglion
- Femurkondylennekrose (M.Ahlbäck)
- Gonathrose
- Charcot-Arthropathie
konservative Therapie der Gonarthrose
- medikamentös
NSAR, Analgetika, Myotonolytika..
- orthopädische Behelfe
Kniemieder, Schuhzurichtungen...
- physikalische Therapie
- Infiltrationen
- Glucusaminglykane (Hyalgan, Synvisc...)
sogenannte Knorpelaufbaustoffe,
angezeigt bei mässiger Arthrose
- Lokalanästhetikum+Cortison
angezeigt bei fortgeschrittener Arthrose, Reizzuständen ...
operative Therapie der Gonarthrose
- arthroskopische Operationen
Debridement, Meniscusteilresektion,
Knorpelglättung
- Korrekturosteotomien
- Tuberositasversetzung,
valgisierende O., varisierende O.
- unicondylärer Schlitten
- Gleitflächenersatz
- achsgeführte Endoprothese (Arthrodese)
Arthroskopische Operationen
- diagnostische Arthroskopie
- Meniskuseingriffe (Teilresektion, Naht)
- Plicadurchtrennung
- Knorpeleingriffe (Bohrung, Microfracture, Knorpelentnahme zur Zellkultur)
- Teilresektion des Hoffa`schen Fettkörpers
- Kreuzbandplastik
- Synovektomie
- Probeexcision
Endoprothetik des Kniegelenks
- Patellaprothese+Femurschild
- unikondyläre Endoprothese (Halbschlitten)
- Schlittenendoprothese (Gleitflächenersatz)
- achsgeführte Endoprothese
- totaler Femurersatz
- Spezialendoprothese nach Tumorresektion
Komplikationen der Knieendoprothetik
- Nachblutung, Hämatom, Serom
- Infektion
- Patellaluxation/Subluxation
- Subluxation/Instabilität
- Weichteilläsion (Quadricepssehnenruptur, Abriss des Lig.patellae)
- periprothetische Fraktur
- „anteriorer Knieschmerz“
- Abrieb
- aseptische Lockerung
Vorgehen bei cystisch-tumorösen Läsionen
- Diagnose radiologisch oder MRI möglich
nicht ossifizierendes Knochenfibrom, juvenile Cyste, solitäre cartilaginäre Exostose, Osteoidosteom, intraossäres Ganglion Therapie nur bei Schmerzen, Wachstum oder Frakturgefahr
- alle übrigen
Probeexstirpation oder Probeexcision mit histologischer Untersuchung bei benignen Prozessen und Metastasen intraläsionale Ausräumung und evtl. Stabilisierung Osteoid-Osteom (Osteoblastom) Excision des Nidus
neue Aspekte in der Therapie
- navigationsgestützte Knieendoprothetik
- minimalinvasive Kniegelenksendoprothetik
- Meniscustransplantation
- Knorpeltransplantation
- Stammzelltherapie ?
Einsatzmöglichkeiten der Navigation am Kniegelenk
- Kreuzbandplastik
exakte intraoperative Lokalisation von Ursprung und Ansatz
- unikondylärer Gelenksersatz
bei minimalinvasivem Zugang korrekte Implantation erleichtert
- Schlittenendoprothese erlaubt möglichst exakte Implantation ?
Knorpeltransplantation am Kniegelenk
- autologe Transplantation
Entnahme von osteochondralen Arealen aus nicht belasteten Zonen,
Einfügen in den Defekt
- autologe Chondrocytentransplantation
- Knorpelentnahme, Zellzüchtung, Replantation
- „Allografts“ osteochondraler Defekte mit Leichenknorpel/knochen